Nachhaltigkeit ... und die Kultur?

Dokumentation 1. Forum Nachhaltigkeit 2013

Wo wir stehen – Bestandsaufnahme 2022

Im Jahr 2012 legten die Sommerlichen Musiktage Hitzacker als erste Einrichtung der Musikkultur in Deutschland eine Bestandsaufnahme vor, die ihre Leitbilder und ihre bisherigen Leistungen in den Bereichen ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit umfasste. Der Flyer, mit dem diese Bestandsaufnahme veröffentlicht wurde, endete mit der Aufforderung an alle, auch beim Thema kulturelle Nachhaltigkeit mitzudiskutieren.
In den letzten 10 Jahren hat diese Diskussion in der Tat begonnen, es hat sich einiges getan, in Hitzacker und an anderen Orten. Die Relevanz eines breiten Begriffs der Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb wird nicht mehr bestritten. Viele Einrichtungen bekennen sich dazu.

Zum Festival 2022, also 10 Jahre nach der ersten Bestandsaufnahme, hat die Organisatorische Leiterin der Sommerlichen Musiktage Hitzacker 2022, Jessica Meiser, den aktuellen Sachstand kritisch in den Blick genommen. Ihr sind folgende zahlreiche Hinweise zu danken aus den Bereichen Organisations-Team, Künstlerisches Betriebsbüro, Anschaffungen, Mobilität, Verpflegung und Blumenschmuck (Anm.: Die in Anführungszeichen geschriebenen Passagen sind ihrem Berichtstext wörtlich entnommen).

Das Organisations-Team:
Das Organisations-Team von Deutschlands ältestem, beständigstem Kammermusik-Festival hat ein ungewöhnliches Profil: Bis auf die Organisatorische Leiterin sind die meisten Team-Mitglieder jährlich wechselnde Praktikant*innen, die in Hitzacker ihre allerersten Berufserfahrungen machen. Durch die Kooperation mit der Leuphana Universität Lüneburg ist diese Rolle als „Ausbildungsfestival“ seit vielen Jahren auch formell vereinbart.
Bereits in den vorbereitenden Workshops wird ein klares Bild der Erwartungen zur nachhaltig ausgerichteten Arbeitsweise zwischen Leitung und Mitarbeitenden im Künstlerischen Betriebsbüro (KBB) gezeichnet: Ohne Hierarchien und mit Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Grundprinzipien wird eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe verabredet. „Ich möchte, dass die Praktikant:innen ihre eigenen Ideen einfließen lassen können, auch wenn dies bedeutet, dass sie einige Dinge vielleicht nicht genau so ausführen, wie ich das gemacht hätte. Denn ich gehe davon aus, dass ich trotz meiner Erfahrung immer noch von all meinen Mitarbeiter*innen lernen kann. Ich möchte ebenfalls, dass sie so viel wie möglich lernen und wir gemeinsam bestehende Strukturen hinterfragen und verbessern können.“

Ruhezeiten werden eingehalten, und es wird darauf geachtet, dass alle ausreichend Schlaf bekommen, sowie auch ab und zu einen freien Morgen oder Nachmittag. „Es ist mir … wichtig, dass die Praktikant*innen eine gute Zeit haben, nicht vollkommen erschöpft sind und sich nicht ausgenutzt fühlen.“ „Wir pflegen immer noch intensiven Kontakt zu ehemaligen Praktikant*innen der letzten Jahre. Diese haben uns dann auch mehrmals zum Festival besucht, sich Konzerte angehört und sogar ihre Familien mitgebracht – eine natürliche und wunderbare Art, nachhaltig neues Publikum zu generieren.“ Um diesen Kontakt zu halten, gibt es auch außerhalb der Festivalzeit Einladungen zu Zusammenkünften. Ein „angenehmes und fröhliches Klima im Backstage“ ist eine Priorität in der Teamarbeit. Konflikte – ob mit Künstlern oder Publikum – werden offen angenommen und zügig gelöst.

Eine Teamführung unter Berücksichtigung der o.g. Grundsätze ist im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit für die Zukunft des Festivals von großer Bedeutung.

Das Künstlerische Betriebsbüro:
Für die KBB-Leitung und das junge Team ist die Nutzung digitaler Informations- und Kommunikationsmittel eine Selbstverständlichkeit. In den letzten paar Jahren ist der postalische Schriftverkehr um 80% verringert worden. Die Planungsunterlagen, die eine dauernde Aktualisierung erfahren, werden nicht mehr auf Papier, sondern nur noch digital bearbeitet und verbreitet. Wenn Papier genutzt werden muss, wird nur recyceltes verwendet.
Im KBB versucht man, so gut wie möglich auf externen IT-Support zu verzichten. Der digitale Sachstand wird jedes Jahr neu evaluiert, damit Anschaffungen und Support angemessen und bezahlbar bleiben.
Wünschenswert wäre eine umfassende Nutzung digitaler Wege von allen Partnern und in allen Phasen des Festivals: bei der Mittelakquise, bei der Planung und Durchführung und bei der Abrechnung. Das ökonomisch und ökologisch nachhaltige Profil des Festivals könnte damit noch schärfere Konturen gewinnen.

Die Anschaffungen:
Jedes Jahr kommen ganz ähnliche Kostenarten auf die Festivalproduktion zu. Mithilfe der KBB-Mitarbeiter*innen hat die Organisatorische Leiterin diese analysiert und in einigen Punkten beschlossen, Anschaffungen für das Festival zu tätigen, anstatt jedes Jahr dieselben Hilfsmittel neu auszuleihen. Zum Beispiel:

  • 2020 wurde in günstige Tassen, Teller, Schüsseln und Besteck investiert und seitdem auf Wegwerfartikel wie Einweg-Kaffeebecher, Plastiklöffel, Pappteller und Einweg-Servietten verzichtet.

  • Walkie-Talkies wurden früher jedes Jahr bei einem Verleiher in Leipzig gemietet (Kosten ca. 150 Euro). 2021 wurde ein Satz neuer Walkie-Talkies angeschafft (Kosten 200 EUR). So kommen keine weiteren Kosten auf das Festival für diese Hilfsmittel zu und die Versandwege werden eingespart (weniger CO2-Ausstoß).
  • Ebenso wurden (im VERDO leider nicht vorrätige) Kordelständer für die Hauptbühne und Zugangswege angeschafft, um Leihgebühren und Transport-Aufwand zu sparen.

Die Organisatorische Leiterin regt darüber hinaus eine Mitnutzung von Infrastruktur (Notenständer, Absperrungen, Spuckschutz etc.) durch die befreundete Musikwoche Hitzacker an.
Nicht alle Bemühungen in diesem Feld haben gefruchtet. An einigen Stellen, besonders im Felde der ökonomischen Nachhaltigkeit, sind noch Nüsse zu knacken. Bei etlichen Stellen und Playern muss noch Überzeugungsarbeit dafür geleistet werden, dass eine vielfältige lebendige Kultur – inklusive Festivals mit innovativer klassischer Musik – eine notwendige Bedingung für die Zukunft der Region ist – ganz besonders unter den Bedingungen der „Zeitenwende“. Oder dass Synergien und konkrete Zusammenarbeit mit und unter den Kulturschaffenden einen Win-Win-Effekt für alle darstellen. Und dass sowohl das lebendige Kulturleben von Hitzacker als auch andere Bereiche sich nur mit nachhaltiger Ausrichtung weiterentwickeln werden.

Die Mobilität:
Die Lage des Veranstaltungszentrums, der Team- und Künstler*innen-Unterkünfte und der Einkaufsmöglichkeiten sowie die (leider zu spärlichen) Anbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln führen zur unverzichtbaren Nutzung von Fahrzeugen vor und während des Festivals. Jedes Jahr werden Fahrräder für das Team gemietet, um zumindest kürzere Autostrecken innerhalb Hitzackers so gut wie möglich zu vermeiden.
Eine Bereitschaft der regionalen Auto-Häuser, das Festival mit (ggf. Elektro-)Autos im Wege des Sponsorings zu unterstützen, ist trotz intensiver Kontaktarbeit leider noch nicht erkennbar. Autos müssen auf dem offenen Markt angemietet werden. Hier, wie auch im Bereich des öffentlichen Verkehrsangebots, ist für die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit Luft nach oben!

Die Verpflegung:
Seit 2020 gibt es ausschließlich vegetarisches und veganes Catering für Team und Künstler; „bisher hat das noch niemanden gestört“. 2020 konnte noch alles in Bio-Qualität mit saisonalen / regionalen Zutaten von einer lokalen Köchin aus Dannenberg zubereitet werden. Aufgrund des Pachtvertrags des VERDO-Restaurants durfte diese Zusammenarbeit nicht weitergeführt werden; seit 2021 wird das Catering wieder vom VERDO-Restaurant übernommen, erfreulicherweise aber auch vegan oder vegetarisch.
Alle zwei Tage wird das KBB von der "Bio-Insel“ mit regionalem und saisonalem Bio-Obst beliefert. Der frühere Großeinkauf dieser Produkte im Supermarkt entfällt; entsprechende Lösungen für andere Lebensmittelbereiche werden noch gesucht.
Das KKB hofft, dass Kontakte zur Naturkostsafterei Voelkel in Pevestorf zu einer Zusammenarbeit für das Festival führen.

Der Blumenschmuck:
Das Ritual kennt man: Am Ende des Konzerts wird dem Künstler ein üppiger Blumenstrauß überreicht. Leider bleiben fast alle dieser Sträuße anschließend in der Künstlergarderobe stehen, wo sie verwelken. Seit 2020 bekommen die Künstler*innen keine Blumen mehr überreicht; „bisher hat das auch kein Künstler vermisst.“ Um der Partnerin von der örtlichen Gärtnerei weiterhin zu dem Umsatz zu verhelfen, der vom Festival langjährig generiert wurde, werden alternative Projekte verwirklicht. Zum Beispiel wurde 2021 ein „Schubert-Garten“ im Gartenareal des VERDO eingerichtet. Dabei wurden Schubert’sche Liedtexte nach Blumenerwähnungen durchsucht; die entsprechenden Blumen wurden mit den Texten versehen im Gartenareal ausgestellt. – Weitere Projekte werden folgen. Bis auf das Empfangsgesteck im Verdo-Foyer sind die Pflanzen, die von der Gärtnerei Meyer seit 2020 bezogen wurden, noch lebendig und wiederverwendbar.

Die Zukunft:
Es wird zunehmend von Bedeutung sein, wie die geladenen Künstler*innen an- und abreisen können und welchen CO2-Abdruck ihre Kunst dadurch hinterlässt. Man wird weiter an der Digitalisierung von Programmheftinhalten arbeiten, um Druckkosten und Papierverbrauch zu minimieren. Aber auch in Fragen der rein kulturellen Nachhaltigkeit gibt es Ideen, um Deutschlands ältestes Kammermusikfestival langfristig zu sichern. So könnte eine alsbald begründete Stiftung mit dem Arbeitstitel „Natur- und Festivalstadt Hitzacker“ vielleicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten den Sommerlichen Musiktagen einen neuen Finanz- und Rechtsrahmen sowie dem Trägerverein darin einen gesicherten Raum für effektive Kooperationen bieten. Am wichtigsten wird es aber sein, unermüdlich das Profil als innovatives Festival zu schärfen, um sich den Titel zu verdienen und nicht im längst unüberschaubar großen Meer der hübsch beliebigen Festivals und saisonalen Konzertserien unterzugehen.

(Der SMH-Vorstand mit großem Dank an die Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit: Linda Anne Engelhardt, Christiane Joost-Plate, Ursula Schauer)

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